Die indische Raumfahrt

Das offizielle Logo der Indian Space Research Organisation (ISRO). Grafik: ISRO Indien - ein Subkontinent mit fast einer Milliarde Einwohner. Indien gilt als armes Land, aber auch als größte Demokratie der Welt. Mit seinen vielen Völkern, Religionen und Provinzen vom Himalaya bis Südindien ist es auch ein Land der vielen Gegensätze. Ein Land mit einer alten Kultur und auch langen Traditionen in den Wissenschaften, gilt es als Hochburg der Mathematik und der genialen Computertechniker. Und es ist auch eine der Raumfahrtnationen der Erde, mit der Fähigkeit, eigene Satelliten zu entwickeln und mit eigenen Trägerrakten ins All zu schießen. Bei seinen großen Entfernungen und seiner gering entwickelten Infrastruktur hat die Satellitentechnik aber auch ihre eigene Begründung und ist nicht Selbstzweck für das Staatsprestige.

Die indische Regierung gründete 1972 das Raumfahrtministerium, um die Entwicklung und Anwendung der Raumfahrtwissenschaft und Technologie zu fördern und für das Allgemeinwohl nutzbar zu machen. Die bereits 1969 gegründete ISRO (Indian Space Research Organisation) wurde dem neuen Ministerium unterstellt und ist für das Raumfahrtprogramm verantwortlich.

Während der 70er-Jahre wurde die Fähigkeit, Anwendungen wie Kommunikation, Rundfunk und Erdbeobachtung im Weltraum einzusetzen, entwickelt und demonstriert. Es wurden Experimentalsatelliten sowie Trägerraketen entworfen und gebaut. Dazu gehörten die Satelliten Aryabhata, Bhaskara, APPLE und die experimentiellen Satellitenträger SLV-3 und ASLV. Heute hat Indien einsatzfähige Systeme als Teil der nationalen Infrastruktur etabliert und ist anerkannter Teil der internationalen Raumfahrtgemeinschaft.

Die Entwicklung der indischen Raumfahrt begann bereits lange vor der Gründung des Raumfahrtministeriums 1972. Schon 1962 wurde ein Nationalkomitee für die Raumforschung (INCOSPAR = Indian National Comittee for Space Research) im Rahmen des Atomenergie-Ministeriums gegründet. Im gleichen Jahr begannen auch die Arbeiten an der Thumba Equatorial Rocket Launching Station (TERLS). Ein Jahr später, im November 1963 wurde die erste Höhenforschungsrakete von TERLS aus gestartet. Weitere Meilensteine waren 1965 die Gründung des Space Science & Technology Centre (SSTC) in Thumba und 1967 der Bau einer Satelliten-Erdfunkstelle in Ahmedabad. 1969 folgte dann die Gründung der eigentlichen Raumfahrtorganisation ISRO, aber noch im Rahmen des Atomenergie-Ministeriums. Drei Jahre später die Gründung eines eigenen Ministeriums und in den Folgejahren erste luftgestützte Erdbeobachtungs-Experimente.

Der erste indische Satellit Aryabhata. Foto: ISRO Dann der erste Höhepunkt des indischen Raumfahrtprogrammes: Der erste Start eines indischen Satelliten Aryabhata an Bord einer russischen Interkosmos-Rakete am 19. April 1975 in einen niedrigen Erdorbit. An Bord drei Nutzlasten für die Röntgenastronomie, Sonnenphysik und Aeronomie. Bhaskara-I, ein Experimentalsatellit für die Erdbeobachtung, wurde dann am 7. Juni 1979 gestartet, ebenfalls an Bord eines russischen Trägers. Bhaskara-II folgte im Jahre 1981. Diese beiden Satelliten trugen zwei Kameras, für den optischen und den Infrarotbereich sowie einen passiven Mikrowellen-Radiometer. APPLE (Ariane Passenger Payload Experiment), ein experimenteller Kommunikationssatellit, wurde am 19. Juni 1981 an Bord einer Ariane gestartet und trug einen C-Band Transponder.

Am 10. August 1979 erfolgte der Start der ersten indischen Trägerrakete SLV-3 (Satellite Launch Vehicle). Es gelang aber nicht, die experimentelle Nutzlast Rohini in einer Umlaufbahn zu plazieren. Die erste indische Rakete SLV-3 (Satellite Launch Vehicle) auf der Startrampe. Foto: ISRO Dann der zweite Höhepunkt, der gelungene Start einer SLV-3 am 18. Juli 1980. Diesmal konnte die Rohini-Nutzlast sicher in der Erdumlaufbahn abgesetzt werden. Damit war Indien in die Reihe der Nationen eingetreten, die eine eigene Nutzlast mit einem eigenen Trägersystem ins Weltall bringen können. In den Folgejahren wurden weitere erfolgreiche SLV-3-Starts durchgeführt. Gleichzeitig wurden schwere Satelliten mit fremden Raketen, hauptsächlich aus Rußland, ins All befördert und in Betrieb genommen. Der erste davon, der Kommunikationssatellit INSAT-1A, wurde im April 1982 gestartet, aber bereits im September deaktiviert. 1983 folgte dann INSAT-1B. Im Jahr 1984 nahm Indien dann gemeinsam mit Rußland auch an einer bemannte Mission teil, der indischer Kosmonaut Rekesh Shrma konnte an Bord einer Sojus-Kapsel in den Weltraum fliegen und auf der Raumstation Saljut-7 für einige Tage Experimente ausführen.

Die neue Trägerrakete ASLV fliegt am 24.März 1987, die Nutzlast SROSS-1 (Stretched Rohini Series Satellite) kann aber wieder nicht im Erdorbit plaziert werden. Auch SROSS-2 kann am 13. Juli 1988 nicht in den Orbit eingeschossen werden. Erst der dritte Start am 20. Mai 1992 ist erfolgreich, SROSS-C wird in einer Umlaufbahn richtig ausgesetzt. Inzwischen wurde der erste einsatzfähige Erdbeobachtungssatellit IRS-1A und weitere Kommunikationssatelliten (INSAT-1C und INSAT-1D) erfolgreich in eine Erdumlaufbahn gebracht. 1992 folgt der erste INSAT der zweiten Generation. Diese schweren Satelliten werden aber alle noch auf fremden Trägern ins All geschossen.

Ein indisches Trägersystem für schwere Lasten, die PSLV-Rakete, gibt es erst ab 1993. Der erste Start mit IRS-1E an Bord mißlingt aber und die Nutzlast geht verloren. 1994 werden dann zwei Nutzlasten mit eigenen Raketen ins Weltall geschossen. Zuerst eine ASLV-Rakete, die SROSS-2C am 4.Mai 1994 erfolgreich startet. Und dann der Start der PSLV-Rakete am 15. Oktober, die Nutzlast IRS-P2 wird glücklich in einer polarsynchronen Umlaufbahn ausgesetzt. Die beiden Satelliten INSAT-2C und IRS-1C werden wieder mit fremden Raketen in den Weltraum befördert. Ein Jahr später kann dann wieder ein indischer Träger, eine PSLV-Rakete, den Erderkundungssatelliten IRS-P3 in einer polare sonnensynchrone Umlaufbahn aussetzen. Auch 1997 gelingt ein PSLV-Start mit IRS-1D an Bord. Der im selben Jahr gestartete INSAT-2D wird nach kurzer Verwendung unbrauchbar. Es wird daher der bereits in der Umlaufbahn befindliche Satellit ARABSAT angekauft und als INSAT-2DT in Betrieb genommen. 1999 wird dann das letzte Exemplar der zweiten Generation der INSAT-Serie, INSAT-2E mit einer Ariane-Rakete gestartet. Im selben Jahr erfolgt am 26. Mai auch der erste kommerzielle Start mit den beiden ausländischen Satelliten KITSAT-3 und DLR-TUBSAT auf einer indischen Trägerrakete. Mit an Bord der PSLV-C2-Rakete auch der indische Satellit IRS-P4 (OCEANSAT). Im Jahr 2000 wird dann wieder durch eine europäische Ariane-Rakete der erste Satellit der dritten INSAT-Generation, INSAT-3B, gestartet.

Die indischen Raketen SLV-3, ASLV, PSLV und GSLV. Derzeit sind nur mehr die PSLV und die GSLV im Einsatz. Grafik: ISRO Am 18. April 2001 startet dann das neue Trägersystem GSLV-D1 zum ersten Mal von Sriharikota aus. Die Nutzlast an Bord war GSAT-1. Die GSLV-Trägerrakete soll Massen bis 2.500kg in eine geostationäre Umlaufbahn bringen können. Die bewährte Rakete PSLV in der Version PSLV-C3 bringt am 22. Oktober 2001 zum zweiten Mal kommerzielle Nutzlasten in den Weltraum. Neben dem indischen Satelliten TES (Technology Experiment Satellite) ist der deutsche BIRD und der belgische PROBA an Bord. INSAT-3C wird 2002 wieder durch eine Ariane gestartet und die PSLV-C4-Rakete plaziert den Satelliten METSAT am 12. September 2002 in einem geosynchronen Transferorbit (GTO). Von dort aus wurde der Satellit durch seinen eigenen Apogee-Motor in die geostationäre Bahn gehoben. METSAT ist der erste meteorologische Satellit der ISRO, der ausschließlich für diesen Zweck gebaut wurde. Das INSAT-System INSAT, eingeführt 1983, ist ein Mehrzweck-Satellitensystem für Telekommunikation, Fernsehübertragung, Meterologie und Rettungsdienst. Es ist eines der weltweit größten nationalen Kommunikationssystemes und besteht derzeit aus fünf Satelliten, INSAT-1D, INSAT-2B, INSAT-2C, INSAT-2DT und INSAT-2E. Neben der Telekommunikation und regulären Übertragungen wird es auch extensiv für interaktive Ausbildungszwecke in ländlichen Gegenden verwendet. Die Fähigkeit zur Gewinnung von meteorologischen Daten und direkte Kommunikationsmöglichkeit zu Bodenstationen macht es auch möglich, INSAT für die Warnung vor gefährlichen Zyklonen zu verwenden. INSAT hat aber auch Transponder an Bord, die bei Rettungsaktionen als Teil des internationalen COSPAS/SARSAT-Programmes verwendet werden können.

Das IRS-System, bestehend aus fünf Erdbeobachtungssatelliten, IRS-1B, IRS-1C, IRS-1D, IRS-P3 und IRS-P4 (OCEANSAT-1) wurde ab 1988 aufgebaut. Diese Satelliten bieten eine Fülle an Daten aus dem Weltall über die Erde, in einem weiten Spektralband und in unterschiedlichen Auflösungen. Diese Daten werden für viele Zwecke verwendet, unter anderem für die Landwirtschaft, die Wasserresourcen, die Stadtentwicklung, Suche nach Bodenschätzen, Umweltschutz, Waldwirtschaft, Warnung vor Trockenheiten und Überflutungen sowie Überwachung der Meeresresourcen. Damit soll es der indischen Regierung möglich sein, die nachhaltige Entwicklung der sozioökonomischen Möglichkeiten zu fördern.

Start der PSLV-C14-Rakete am 23. September 2009 vom Satish Dhawan Space Center (SDSC) in Sriharikota. Foto: ISRO Indien hat ein Trägersystem mit dem Namen PSLV (Polar Satellite Launch Vehicle) entwickelt und eingeführt, das einen Satelliten mit einer Masse von bis zu 1.200 kg in eine sonnensynchrone polare Umlaufbahn von maximal 820 Kilometer Höhe bringen kann. Schwerere Nutzlasten können in einen niedrigen Erdorbit transportiert werden. Nach einem ersten Fehlstart und zwei erfolgreichen Starts 1994 und 1996 ist dieses Trägersystem jetzt seit 1997 einsatzbereit. Seither erfolgten insgesamt drei reguläre Starts. Dabei wurde ein Satellit, METSAT, auch in eine geostationäre Transferbahn gebracht. Die PSLV-Rakete wiegt in der aktuellen Version beim Start 294 Tonnen und ist 44,4 Meter hoch. Sie besteht aus vier Stufen, wobei die erste und die dritte Stufe einen Feststoffmotor besitzt und die beiden anderen Stufen mit flüssigen Raketentreibstoff arbeiten. Zusätzlich sind sechs Feststoff-Booster an der ersten Stufe montiert. An der Spitze der Rakete befindet sich eine Nutzlastverkleidung von 3,2 Metern Durchmesser. Die GSLV-Rakete (Geosynchronous Satellite Launch Vehicle) wird eine 2.500 kg schwere Nutzlast sogar in den geostationären Orbit starten können und befindet sich derzeit gerade in Entwicklung. Ein erster experimenteller Start im Jahr 2001 verlief erfolgreich, der zweite Start erfolgte am 8.Mai 2003.

Das erste Trägersystem, genannt SLV-3 (Satellite Launch Vehicle) startete erstmals im Jahre 1980, gefolgt von zwei weiteren Starts. Das Gewicht der Rakete betrug 17 Tonnen, bei einer Höhe von 22 Metern konnte eine Nutzlast von 40 Kilogramm in einen niedrigen Erdorbit transportiert werden. Das zweite System war die ASLV (Augmented Satellite Launch Vehicle) mit zwei Fehlschlägen und zwei erfolgreichen Flügen. Der Flugkörper war fünfstufig und wurde mit Feststoff-Motoren betrieben. Bei einem Gewicht von 39 Tonnen und einer Gesamthöhe von 23,5 Metern konnte ein Satellit mit 150 Kilogramm in eine niedrige Umlaufbahn gestartet werden. Beide Raketen sind nicht mehr im Dienst. Zusätzlich gibt es eine Reihe von Höhenforschungsraketen für wissenschaftliche und technologische Experimente. Derzeit sind dies die Rohini-Höhenforschungsraketen in den drei Modellen RH 300 MkII, RH560 und RH560 Mk II mit Nutzlastkapazitäten bis zu 100 Kilogramm.

Karte von Indien mit den verschiedenen Raumfahrtzentren. Grafik: ISRO Zur Abwicklung des Raumfahrtprogramms wurde in Indien eine entsprechende Infrastruktur mit zahlreichen über das ganze Land verteilten Zentren aufgebaut. Dabei sind Anlagen für die Entwicklung der Satelliten und Trägerraketen, ein Netzwerk für den Telemetriefunk sowie die Verfolgung und Steuerung der Raumflugkörper und Empfangs- und Auswerte-Anlagen für die Daten der Erdbeobachtungssatelliten. Eine Vielzahl an akademischen und wissenschaftlichen Einrichtungen und einige Industrieunternehmen wirken ebenfalls am indischen Raumfahrtprogramm mit. Die einschlägigen Unternehmen haben dabei entsprechende hochentwickelte Fähigkeiten im Bereich der Hochtechnologie erworben und können diese auch für andere Zwecke und Kunden anbieten. Hier gibt es sicher auch entsprechende Querverbindungen zum militärischen Bereich, hat doch Indien sowohl Atomwaffen als auch entsprechende Raketenträger zumindestens mit mittlerer Reichweite.

Indien nimmt auch an den entsprechenden internationalen Foren wie die UN, IAF, COSPAR & CEOS teil und legt großen Wert auf die länderübergreifende Zusammenarbeit. Das in Indien etablierte Zentrum für Weltraumwissenschaften und Technologie-Ausbildung in Asien wird durch die Vereinten Nationen gesponsert. Es werden auch Kurse für Personal aus Entwicklungsländern im Rahmen des Programmes „Teilen von Weltraumerfahrungen“ (SHARES = Sharing of Experience in Space) angeboten. Nicht zuletzt war Indien auch Austragungsort der 2. UNESCAP-Ministerkonferenz über Raumfahrtanwendungen für nachhaltige Entwicklung in Asien und im pazifischen Raum in Neu-Delhi im November 1999.